Die Handlung

Prolog

Im Prolog erklingt das Tagesgebet aus der Messe für den Frieden. Wir schreiben das Jahr 1914. Das Gebet gilt dem gefährdeten Weltfrieden. Eine Lesung aus dem 13. Kapitel der Geheimen Offenbarung des Johannes erinnert an die Macht des Satans, der durch Gewaltherrschaft die Menschheit ins Blutvergießen treibt. Tänzerinnen symbolisieren die apokalyptische Zahl 666, indem sie todbringend die abgrundtiefe dämonische »Freude« an Menschenverachtung, Haß und Brutalität ausdrücken.

1914

Am 1. August 1914 ruft Kaiser Wilhelm II. vom Balkon seines Schlosses in Berlin den 1. Weltkrieg aus. Die Bevölkerung – durch »Preußens Gloria« militaristisch verblendet stimmt begeistert den Choral »Nun danket alle Gott« an. Nikolaus Groß ist zu diesem Zeitpunkt 16 Jahre alt. Am 30. September 1898 wurde er als Sohn eines Zechenschmiedes in Niederwenigern geboren. Nach sieben Jahren Volksschule arbeitete er zwei Jahre als Stahlarbeiter in dem Blechwalzwerk »Von der Weppen« in Altendorf-Ruhr und während des 1. Weltkrieges als Schlepper auf der Zeche Dahlhauser Tiefbau, ab 1919 mit dem Befähigungszeugnis als Kohlenhauer auf der Zeche »Aufgottgewagt und Ungewiß«. Die harte Arbeit unter Tage und die kriegsbedingte Kohleförderung ersparen ihm einen Fronteinsatz. Trotz Schwerstarbeit und knapp bemessener Freizeit bildet sich Nikolaus Groß auf eigene Faust weiter.

Barbara, die Patronin der Bergleute, erscheint im Stollen vor Ort. Sie hält einen Kelch in der Hand, das Zeichen ihrer Liebe zur Gegenwart Christi im Sakrament. Sie ermutigt Nikolaus Groß – so wie sie selbst vor vielen hundert Jahren – das eigene Leben mutig anzupacken, auf Menschen zuzugehen und sich auf das Opfer der Eucharistie einzulassen

1918

Am 9. November 1918 dankt der Kaiser ab. Der Weltkrieg ist zu Ende. Ein neues Gesicht taucht am Horizont der Geschichte auf: Karl Marx. Atheismus und Materialismus prägen seine Philosophie. Die Kommunisten propagieren seine Lehre von der klassenlosen Gesellschaft und rüsten zum Klassenkampf gegen Kapitalisten und Imperialisten, gegen Aristokraten und Kirche. Auch Sozialisten bedienen sich seiner Gedanken. In Berlin strömen die Arbeitermassen zusammen und setzen eine rote Fahne auf das Brandenburger Tor.“

In dem Parteienwirrwar und dem Pluralismus der geistigen Auseinandersetzungen dieser Zeit ist Nikolaus Groß ein Mann der Mitte. Er ist Mitglied der Zentrumspartei, arbeitet als Gewerkschaftler zunächst in Oberhausen, in Essen, später auch in Bottrop und Gladbeck. Er glaubt an einen Staat, in dem jeder Stand mit entsprechendem Respekt voreinander seinen Platz hat und dem Wohl des ganzen Volkes dienen soll. Mit der gleichen Einstellung arbeitet in Düsseldorf Bernhard Letterhaus, der spätere Freund von Nikolaus Groß. Auch er hat sich in jungen Jahren auf eigene Faust weitergebildet mit dem Ziel, seinem Stand, der Arbeiterschaft, zu dienen.

In diesen Jahren gründen Nikolaus Groß und Elisabeth Koch ihre Familie. Sie kennen sich schon flüchtig als Kinder des gleichen Dorfes und der gleichen Schule. Als junge Erwachsene begegnen sie sich in der damaligen Laienspielschar der KAB Niederwenigern. Bekannt ist uns als ein Datum ihrer liebenden Zuwendung der Silvesterabend 1920, den Nikolaus Groß in einem seiner Briefe ausdrücklich erwähnt.

Nikolaus Groß und Bernhard Letterhaus lernen sich kennen und schätzen durch ihre gemeinsame Arbeit in der Verbandsspitze der Westdeutschen Katholischen Arbeiterbewegung im Kettelerhaus in Köln. Beide wurden dort nahezu zeitgleich eingestellt, Nikolaus Groß als Journalist, Bernhard Letterhaus als Verbandssekretär. Beide profilieren sich je auf ihre Weise: Nikolaus Groß mit dem geschriebenen, Bernhard Letterhaus mit dem gesprochenen Wort.

Im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit und gegen die asoziale Behandlung der Arbeiterschaft gebraucht Nikolaus Groß in seinen Zeitungsartikeln Formulierungen, die wir genau so heute am Ausgang dieses Jahrhunderts in der Tagespresse wieder lesen können.

Auch im Kampf gegen den Nationalsozialismus nehmen Nikolaus Groß und Bernhard Letterhaus kein Blatt vor den Mund. Kurz nach der Machtübernahme der Nazis wird die WAZ (Westdeutsche Arbeiter Zeitung, das Organ der Katholischen Arbeiterbewegung) zeitweise verboten und später umbenannt in Ketteler Wacht.

Die Demagogen der Nationalsozialisten haben leichtes Spiel. Die junge Demokratie mit ihrem Vielparteiensystem steht den Problemen der Zeit ohnmächtig gegenüber. Armut, Arbeitslosigkeit, Auslandshaß, Antisemitismus und Nationalgefühl erwecken die Sehnsucht nach dem starken Mann, der für Ordnung und Stabilität im Lande sorgt, dem Ausland sagt, wo es längs geht und das Judentum in die Schranken weist. Die Dämonie des Rechtsradikalismus beginnt: es wird randaliert, geistige Güter werden zerrissen und verbrannt, später auch Häuser und Menschen.

1933

Am 30. Januar 1933 wird Hitler Reichskanzler. Seine Partei feiert dieses Ereignis als »Machtübernahme« mit einem riesigen Fackelzug durchs Brandenburger Tor. Ihr Kampflied: »Die Fahne hoch, die Reihen fest geschlossen«.

Als eindrucksvolles Zeichen des inneren Widerstandes gegen das Hitlerregime strömen 1934 in einer riesigen Glaubensfahrt über 100.000 Arbeiter aus dem ganzen Reich zum Grabe des Gründers der KAB, Wilhelm Emanuel Freiherr von Ketteler, im Dom zu Mainz. Das »Ruhrgebiet« bringt in einer Grubenlampe die »Kettelerflamme« mit, die im Kesselhaus einer Zeche in Duisburg-Walsum entzündet wurde. Der Beginn der Festlichkeiten verzögert sich, weil die Rede Hitlers zur »Rechtfertigung des Röhmmordes« öffentlich übertragen wurde. Die Gläubigen übertönten die Lautsprecher durch immer stärker werdendes Rosenkranzgebet.

1934

wird als sechstes Kind der Familie Groß Sohn Bernhard geboren. Durch die gemeinsame Arbeit in der Verbandsspitze der KAB erfuhren Nikolaus Groß, Bernhard Letterhaus und Otto Müller in schwerer Zeit sehr deutlich ihre geistige Verwandtschaft, die sie zu guten Freunden werden ließ. Bei der Taufe von Sohn Bernhard führt diese Freundschaft zu einer geistlichen Verwandtschaft: Der Pate des Täuflings ist Bernhard Letterhaus, von ihm hat er seinen Namen. Der Taufpriester ist Prälat Otto Müller.

Die Kinder der Familie Groß müssen wegen ihrer christlichen Lebensweise Spott und Haß von ihren Lehrern und Klassenkameraden ertragen. Sie werden beschimpft als \„Hebräerpack“ und geraten mit ihren Altersgenossen aneinander. Bereits unmittelbar nach der Machtübernahme kommt es zu vielen Verhaftungen, Verschleppungen und öffentlichen Demütigungen von bis dahin unbescholtenen Bürgern. Man will sich an den politischen Gegnern rächen, sie mundtot machen und zugleich die Bevölkerung einschüchtern. Eine Methode bestand darin, die Betroffenen zu schlagen, ihnen ein gehässiges Schild umzuhängen und sie mit aufgespanntem Regenschirm durch die Straßen zu treiben. So ist es auch in Mülheim-Dümpten geschehen. Besonders bekannt geworden ist der Fall Hirtsiefer aus Essen.

Nikolaus Groß ist seiner Frau ein liebender Ehemann und seinen Kindern ein liebender Vater. 1943 schreibt er ein wunderschönes Buch: Sieben Kinder und ein Tisch. Dort schildert er den Reichtum seines Familienlebens, spricht vom Wert und der Würde der Kinder und von der Hoffnung auf eine gute Zukunft.

1943

Das dämonisierte Volk glaubt das Heil im Führer zu finden. Mit fanatischem Jubel fordert es den totalen Krieg, in dem es selbst untergeht. Inzwischen formiert sich im Geheimen massiver Widerstand. In der Wohnung Groß im Kettelerhaus in Köln treffen sich Männer, die über eine neue Regierung des deutschen Reiches nachdenken, wenn Hitler beseitigt ist.

Draußen im Dunkel des frühen Abends spielt der 8-jährige Bernhard, der jüngste Sohn von Nikolaus Groß, vor dem Kettelerhaus. Er darf nicht wissen, daß sein Patenonkel Bernhard Letterhaus auch zu einer Widerstandsgruppe gehört. Letterhaus ist Offizier im Oberkommando des Heeres in Berlin. Aber Bernhard erkennt seinen Patenonkel, als dieser die Wohnung verläßt und an seinem Patenkind vorbeihuschen will. Bernhard wird von seiner Mutter ins Bett geschickt und in der gleichen Nacht noch vom Vater unter dem Siegel der Verschwiegenheit aufgeklärt.